The Commissions
Louise Guerra Archive
Keine richtige Schule
Kuratiert von Roman Kurzmeyer
Eröffnung: 29. November 2019
Mit einer Performance von Cosima Grand
30. November – 8. Dezember 2019
2018 gründeten die Künstlerinnen Kathrin Siegrist und Chantal Küng das Louise Guerra Archive. Seither befassen sie sich mit dem Nachlass von Louise Guerra und der Frage, wie deren Werk aufbewahrt, aktualisiert und vermittelt werden soll. Louise Guerra wurde im Jahr 2013 gegründet und schloss mit einem Master in Fine Arts am Institut Kunst HGK FHNW in Basel ab. In ihrer künstlerischen Arbeit setzte sich Louise Guerra mit der Theorie, der Geschichte und der Praxis von Kollektivität auseinander. Sie war einerseits eine fiktive Künstlerin, die sich Gedanken, Formen, Theorien, Methoden und Biographien anderer aneignete, um diese zu überprüfen und neu zur Diskussion zu stellen, andererseits ein Kollektiv, das von 2013 bis 2017 mit Ausstellungen, Publikationen, Performances und weiteren Manifestationen an die Öffentlichkeit trat. Louise Guerra ist eine Figur, deren Praxis auf andere Figuren aus unterschiedlichen historischen Epochen wie Louise Michel, Louise Bourgeois, Louise Nevelson, Louise Glück, Louise Mack oder Louise Lawler verweist, mit denen sie den Vornamen teilt, und die dabei versucht hat, in unterschiedlichen Handlungsräumen aktiv zu werden. In ihrem Atelier standen zunächst Malerei und Autorschaft im Zentrum der Aufmerksamkeit, bald aber wurde deutlich, dass die Interessen von Louise Guerra nach einer neuen künstlerischen Methodik und Praxis verlangten, die auch ästhetische Theorie, Alltagsleben, Politik und Bildung einbezogen. Eine Vorläuferin, deren kollektive Identität Louise Guerra damals begeisterte, ist die Ready-made-Künstlerin Claire Fontaine, deren Denken Louise Guerra Mitstudierenden in gemeinsamen Lehrveranstaltungen vorstellte. Im Kern handelt es sich dabei um den Anspruch, als Künstlerin und Mensch in sozialen Beziehungen leben zu wollen, die mit der künstlerischen Produktion vereinbar sind. In ihrem Seminar Figuren der Gemeinschaft: Kollektive Praxis zwischen Kunst und Politik im FS 2014, mit dem Louise Guerra für ein Semester in die Rolle der Lehrenden schlüpfte, überlagerten sich Theorie und Praxis. Louise Guerra traf sich mit dem Seminar an einem dafür entworfenen und gebauten grossen Tisch, dessen Blatt während der Veranstaltung von allen individuell mit dafür von der Künstlerin zur Verfügung gestellten Werkzeugen bearbeitet und später von ihr als Druckstock für einen Holzschnitt verwendet wurde.
Erstmals zur Diskussion gestellt wurde das Louise Guerra Archive 2018 in der Ausstellung République Géniale im Kunstmuseum Bern. Seine Aufgabe sieht das Louise Guerra Archive nicht darin, die Authentizität erhaltener Arbeiten von Louise Guerra zu überprüfen, Daten zum Werk der Künstlerin zu sammeln, auszuwerten und für die Forschung zur Verfügung zu stellen, Entstehungszusammenhänge offenzulegen und somit das Werk in der Geschichte zu verankern, sondern die Transformation und Aktualisierung der Hinterlassenschaft von Louise Guerra zu ermöglichen. Keine richtige Schule thematisiert die Kleider von Louise Guerra, die von ihr in Performances getragen und in Ausstellungen gezeigt wurden. Die selbst entworfenen und genähten Kleider spielten in ihrem vielfältigen Schaffen eine zentrale Rolle. Von der Künstlerin von Anfang an als eine Abfolge von Kapiteln angelegt, umfasste es am Schluss insgesamt deren 20. Im Chapter 16 ihres Schaffens etwa thematisierte Louise Guerra, was Gemeinschaft jenseits von «shared working space» und «digital communities» bedeuten könnte. In Anlehnung an die als Buch veröffentlichten Robes Poèmes von Sonia Delaunay und Jacques Damase entwarf Louise Guerra für ihr Louise-Kollektiv zwei Kleider, welche die Trägerinnen sowohl Nähe als auch Abhängigkeit erfahrbar machen lassen, da sich jeweils zwei Personen ein Kleid teilen müssen. Keine richtige Schule zeigt (beinahe) die gesamte Garderobe von Louise Guerra, aus der Cosima Grand am Tag der Eröffnung für ihre Performance einige Stücke auswählen wird, um in und mit diesen in der Ausstellung zu tanzen. Das Ankündigungsplakat zur Ausstellung und Performance ist ein künstlerischer Beitrag von Silas Heizmann.
Der verglaste Ausstellungsraum ist die Antithese zum White Cube. Schaufenster, Sockel und Vitrinen sind alle drei entfernte Verwandte und haben in der Ökonomie des Zeigens eine vergleichbare Funktion. Stelle man Kunst in eine Galerie oder eine Vitrine, dann stelle man sie in «Anführungszeichen», schrieb Brian O’Doherty in seinen Schriften zum White Cube. Die ausgestellten Kleider sind wie die von aussen lesbaren Texte, mit denen die riesigen Glasfronten des Ausstellungsraums beschrieben sind, Zitate aus einem künstlerischen Prozess, der womöglich gar noch nicht abgeschlossen ist. Die Kleider hängen an langen, feinen Stahlseilen von der Decke, getragen von dafür einzeln angefertigten Hängern aus Metallabfällen der Hochschulwerkstätten und ausgedienten Haushaltgegenständen. Jedes dieser Kleidungsstücke wurde von Louise Guerra getragen. Es sind aber nicht die richtigen, historisch bezeugten Momente der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der ausgestellten Objekte, die mit dieser Ausstellung vermittelt werden sollen. Faszinierend an Louise Guerra war ihr in der Kunst der Gegenwart selten gewordenes Vertrauen in die visuelle Erfahrung, kombiniert mit der Überzeugung, dass die Bilderflut, die uns die Digitalisierung beschert, die Bedeutung von Kunst nicht zu zerstören vermag. Für Louise Guerra alias Louise Guerra Archive spielt die Art der Produktion von Kunst eine entscheidende Rolle, weil sie davon überzeugt ist, dass ihre Wirkung durch den bildnerischen Prozess, aus dem sie hervorgeht, mitbestimmt wird. Keine richtige Schule zeigt die zahlreichen Kleidungsstücke von Louise Guerra aus vergangenen Manifestationen für wenige Tage als einen einzigen, multiplen Körper. Es ist ein neues Kapitel in einer erst noch von Louise Guerra Archive zu entwickelnden Zukunft ihres an der Produktion von Kunst orientierten lebendigen Archivs.
Roman Kurzmeyer
Das Louise Guerra Archive wurde 2018 in Basel von Kathrin Siegrist und Chantal Küng gegründet. Aufgaben des Archivs sind die Pflege und Aktivierung der Arbeiten und der Hinterlassenschaft von Louise Guerra (2013 – 2017). Die Künstlerinnen Kathrin Siegrist und Chantal Küng sind Absolventinnen des Master in Fine Arts am Institut Kunst in Basel.
Ausstellungen mit Alumni des Institut Kunst
Die Ausstellung von Louise Guerra Archive ist nach Kaspar Müller: Rendering of service in the pitch of the bruise (23. Februar – 3. März 2019), Jürg Stäuble & Hannah Villiger (1. – 9. Dezember 2018), Kasia Klimpel – Berge (3. – 11. März 2018) und Werner von Mutzenbecher – 8/1/D999R (2. – 10. Dezember 2017) das fünfte Projekt in einer 2017 begonnenen Reihe mit Arbeiten von Alumni des Institut Kunst.
The Commissions
Louise Guerra Archive
Keine richtige Schule
Curated by Roman Kurzmeyer
Opening Friday, 29 November 2019, 6 pm
With a performance by Cosima Grand
Exhibition 30 November – 8 December 2019
Opening hours: Saturdays and Sundays, 2 – 6 pm
And by appointment: dertank.hgk@fhnw.ch
Artists Kathrin Siegrist and Chantal Küng founded the Louise Guerra Archive in 2018. Since then, they have been concerned with the estate of Louise Guerra and the question of how her work should be preserved, updated, and mediated. Louise Guerra was initiated in 2013 and graduated with a Master in Fine Arts from the Art Institute HGK FHNW in Basel. In her artistic work, Louise Guerra explored the theory, history, and practice of collectivity. On the one hand, she was a fictional artist who appropriated the thoughts, styles, theories, methods, and biographies of others in order to examine them and discuss them in a novel way, and on the other hand, she was a collective that appeared in public with exhibitions, publications, performances, and other manifestations from 2013 to 2017. Louise Guerra is a figure whose practice references other figures from various historical eras such as Louise Michel, Louise Bourgeois, Louise Nevelson, Louise Glück, Louise Mack, and Louise Lawler, with whom she shares her first name, and in doing so has attempted to become active in various fields of action. In her studio she initially focused on painting and authorship, but it soon became apparent that Louise Guerra’s interests required a new artistic methodology and practice that also included aesthetic theory, everyday life, politics, and education. A forerunner whose collective identity inspired Louise Guerra at that time was the ready-made artist Claire Fontaine, whose thinking Louise Guerra introduced to her fellow students during joint courses. In essence, it is about the aspiration to live as an artist and human being in social relationships that are compatible with artistic production. Theory and praxis overlapped in her seminar Figures of community: collective practice between art and politics in the spring semester 2014, when Louise Guerra took over the role of a lecturer for one semester. Louise Guerra met the participants at a large table designed and built for this purpose. During the seminar, everyone carved into the tabletop using tools provided by the artist; she later used this as a printing block for a woodcut.
The Louise Guerra Archive was first discussed during the exhibition République Géniale at the Kunstmuseum Bern in 2018. It does not see its role as to verify the authenticity of preserved works by Louise Guerra, or to collect and evaluate information on the artist’s work and make it available for research purposes, or to reveal the context in which the works were created and thus anchor her work in history, but rather as to enable Louise Guerra’s legacy to be transformed and updated. The subject of Keine richtige Schule [Not a Real School] is Louise Guerra’s dresses, which she wore during performances and displayed in exhibitions. The dresses designed and sewed by her played a central role in her varied oeuvre. Conceived by the artist from the outset as a series of chapters, the final result was a total of twenty chapters. In Chapter 16 of her work, for example, Louise Guerra explored what community could mean beyond shared working spaces and digital communities. Based on Robes Poèmes by Sonia Delaunay and Jacques Damase, which were published as a book, Louise Guerra designed two dresses for her Louise collective that allow the wearers to experience both closeness and dependency, as two people have to share one dress. Keine richtige Schule shows (almost) the entire wardrobe of Louise Guerra, from which Cosima Grand will select some pieces for her performance on the day of the opening; she will dance in and with them in the exhibition. A special poster announcing the exhibition and the performance is an artistic contribution by Silas Heizmann.
The glass-fronted exhibition space is the antithesis of the White Cube. Display windows, pedestals, and showcases are all distant relatives and have a comparable function in the economics of display. “To insert art into gallery or case puts the art in ‘quotation marks,’” wrote Brian O'Doherty in his writings on the White Cube. The exhibited dresses are like the texts written on the enormous glass fronts of the exhibition space that can be read from outside, quotes from an artistic process that may not yet have been completed. The dresses hang from the ceiling on long, thin steel ropes, supported by individually made hangers created out of scrap metal from the Campus workshops and disused household items. Each of these garments was worn by Louise Guerra. However, what the exhibition aims to mediate is not the correct and historically attested moments in the development and reception history of the exhibited objects. What was fascinating about Louise Guerra is her confidence in visual experience, which has become rare in contemporary art, combined with the conviction that the flood of images bestowed upon us by digitalization cannot destroy the significance of art. For Louise Guerra, alias Louise Guerra Archive, the way art is produced plays a crucial role, because she is firmly convinced that its impact is determined by the visual process from which it emerges. For a few days, Keine richtige Schule shows numerous items of clothing belonging to Louise Guerra from previous manifestations as a single yet multiple body. It is a new chapter of a future yet to be developed by Louise Guerra Archive, the future of her vibrant archive with its focus on the production of art.
Roman Kurzmeyer
The Louise Guerra Archive was founded by Kathrin Siegrist and Chantal Küng in Basel in 2018. The archive’s role is to maintain and activate the works and legacy of Louise Guerra (2013 – 2017). Artists Kathrin Siegrist and Chantal Küng both graduated with a Master in Fine Arts from the Art Institute in Basel.
Exhibitions with alumni of the Art Institute
The Louise Guerra Archive exhibition is the fifth of a series of exhibitions initiated in 2017 that presents commissions of former students and lecturers of the Art Institute. Previous exhibitions include Kaspar Müller: Rendering of service in the pitch of the bruise (23 February – 3 March 2019), Jürg Stäuble & Hannah Villiger (1 – 9 Dezember 2018), Kasia Klimpel – Berge (3 – 11 March 2018) and Werner von Mutzenbecher – 8/1/D999R (2 – 10 December 2017).